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Wir sind bunt!

Über Individualität, Vergleiche und Vertrauen.



Vom Moment des positiven Schwangerschaftstests bis zur Geburt, vom Kleinkindalter bis zum Schulalter und dann über die gesamte Schullaufbahn hinweg werden unsere Kinder von außen gescreent, begutachtet, bewertet und darauf überprüft, wie gut sie “passen”, eben ob sie “normal” sind. Geschlecht, Gesundheit, Größe, Gewicht, BMI, allgemeines Verhalten, motorische und geistige Leistung, Noten, Sozialverhalten und Intelligenz. Das kann zu einem Gefühl von Sicherheit beitragen, wenn ein Kind “unauffällig und normal” ist. Es kann aber auch enorm verunsichern, wenn es eben nicht so ist, dass ein Kind “passt”. Denn dem "richtig" und "gut" stehen ein "falsch" und ein "schlecht" gegenüber. Ein Kind passt nicht - es ist zu klein, zu schwer, will keinen Brei nach Plan essen, will dauerstillen, dreht sich noch nicht auf den Bauch, läuft noch nicht, ist noch nicht “trocken”, kann nicht stillsitzen, ist zu laut, ist zu leise, ist zu impulsiv, ist anders als die anderen... Egal, was es ist - es fühlt sich für Eltern häufig nicht gut an! Es entstehen herausfordernde Situationen, die verunsichern und Angst machen. In der Regel sind in diesen herausfordernden Situationen andere Erwachsene involviert, die eine Autorität haben oder denen wir uns, aus welchen Gründen auch immer, unterlegen fühlen. Sie sagen oder suggerieren uns, wie es sein sollte. Sie zeigen uns auf, was bei uns falsch läuft. Sie zeigen uns, wo unser Kind nicht der Norm entspricht. Schwierig wird es in meinen Augen, wenn dabei vom “Wohl des Kindes” gesprochen wird. Da gibt es viele verschiedene Beispiele: U-Untersuchungen, Zahnarztbesuche, Erziehungsratgeber, Anforderungen in Schule und Kita. Doch auch im normalen gesellschaftlichen Miteinander wird verglichen. Mein Kind, dein Kind… Da fühlt sich ein Spielplatzbesuch mitunter an wie ein Wettbewerb. Themen, die unsere Unterschiedlichkeit oder auch die Unterschiedlichkeit in der Begleitung unserer Kinder verdeutlichen, gibt es viele, bspw. Ernährung, Erziehung, Medienkonsum. Die Menschen um uns herum scheinen manchmal besser zu wissen, was für mein Kind gut ist und wie es sein sollte. Da entstehen Druck und Unsicherheit. Das Vertrauen in unsere Begleitung, unser Kind und seinen ganz eigenen, innewohnenden Plan, in seine Fähigkeiten und sein “Sein” werden hart auf die Probe gestellt. Individualität scheint plötzlich unwichtig geworden zu sein. Überall wird verglichen. Und das, obwohl Mensch weiß, dass Vergleiche selten glücklich machen… Wenn ich mich mit einem Topmodel oder einer Spitzensportlerin vergleiche, schneide ich entsprechend schlecht ab. Wenn ich mich mit der anderen Mama vergleiche, die ihr Leben scheinbar mit links wuppt, auch. Wieso vergleiche ich mich - und noch viel wichtiger: wieso vergleiche ich meine Kinder mit anderen Kindern und wieso lasse ich sie dauernd bewerten? Ja - es kann total sinnvoll sein, mein Kind bspw. beim Arzt durchchecken zu lassen und auch, einen Grundplan im Kopf zu haben. Doch wenn ich mich an diesem Plan festhalte und mein Kind ihm nicht entspricht - was ist dann? Wenn ich ins Wanken gerate, wenn meine Sicherheit verloren geht - wie geht es mir, wie geht es meinem Kind dann? Meine Erfahrung mit dem Vergleichen ist, dass es mir damit nicht nur nicht gut geht, sondern dass es auch immer enorme Kraft kostet, mich wieder zu erden. Wenn ich mich in den Strudel aus Vergleich, Bewertung und Normierungswahn ziehen lasse, dann gerate ich meist in Angst. Nun ist Angst zunächst mal ein sehr wichtiges Gefühl - es schützte unsere Vorfahren vor Gefahren, die real lebensbedrohlich waren und erfüllt auch heute noch den wichtigen Zweck, nämlich unser Überleben zu sichern. Was sich jedoch geändert hat, ist die Art der Gefahr - sie ist selten akut lebensbedrohlich. Doch das Blöde ist, dass unser Gehirn das nicht weiß - es reagiert, wenn es Gefahr wittert, als ginge es um unser Leben und läuft in diesem Modus nicht rational, sondern nur reaktiv - im “fight, flight, freeze”-Modus. Das fühlt sich dann ungefähr so an: Mein Kind tut etwas, das nicht “ok, normal, passend” ist. Ich werde kritisiert - oder ich empfinde es so. → Ich gehe in den Kampf! So geht keiner mit meinem Kind oder mir um! Ich werde wütend und haue um mich! → Ich haue ab. Zurück in meine Blase, weg vom Ort des Geschehens, raus aus der Wahrnehmung, rein in die Ablenkung. → Ich fühle mich ohnmächtig, gelähmt und falsch. Ich bin voller Schuldgefühle und Scham und werde handlungsunfähig.

Manchmal fühlt es sich an wie eine wilde Mischung aus allen drei Varianten… Und der Angst folgen Gefühle wie Wut, Unzulänglichkeit, Traurigkeit, Schuld. Oft passiert es, dass wir dann aus Angst und diesen Gefühlen heraus handeln und sie an unser Kind weitergeben. Unsere Führung wackelt, das System gerät kurzzeitig ins Wanken. Je mehr ich über dieses Phänomen nachdenke, umso mehr Widerstand kommt da in mir auf - ich will das nicht! Ich möchte mich nicht schlecht fühlen, weil mein Kind oder unser Lebensstil nicht in diese Gesellschaft passt - ich will raus aus diesem Vergleichswahn. Da kommt der Punkt, an dem es wirklich wichtig ist, mich wieder zu erden, mich zu besinnen und mich zu fragen, wo ich hin möchte im Leben. Aus meiner Sicht ist es so, dass es Wichtigeres gibt als gesellschaftliche oder institutionelle Erwartungen an Kinder und Eltern - nämlich das Hier und Jetzt und das Glück und die Zufriedenheit, die wir empfinden. Vergleiche machen unglücklich, Normierung schafft Druck, Individualität sollte gefeiert werden. Hervorheben möchte ich auch, dass ich mich im Zweifelsfall, wenn ich ein solches Wanken wahrnehme, auf meinen inneren Kompass besinnen möchte und unser aller Seelenheil in den Mittelpunkt stelle. Wie immer ist es ein Prozess, ein Weg, ein Stück innere und äußere Arbeit. Es erfordert Achtsamkeit, Selbstbewusstsein und eine gesunde “mir egal”-Einstellung. Doch die Investition lohnt sich! Ich möchte raus aus dem Vergleichswahn, rein ins Vertrauen. Ich möchte durchatmen, mich besinnen und mit meinen Kindern unseren ganz eigenen Weg gehen. Ich möchte meine Kinder betrachten, mit Neugier und mit Liebe und mich überraschen lassen von dem, was und wie sie sind. Ich möchte ihnen Zeit geben, zu wachsen, sich zu orientieren und zu entwickeln. Und ich möchte Vertrauen haben. Vertrauen in sie, Vertrauen in mich und in die Begleitung meiner Kinder. Und dann ist es plötzlich völlig egal, was die anderen denken - denn wir sind wir und wir sind nicht wie die anderen. Wir sind viele, wir sind verschieden, wir sind bunt!!! ❤️🧡💛💚💙💜🖤🤍🤎



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