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Keine Diskussion!

Über's achtsame Nein-sagen.



"Keine Diskussion!"

Was für ein Satz. Voller Macht. Oft auch mit entsprechender Wirkung.

Es geht hier in der Regel um ein Nein: Nein, wir bleiben nicht noch länger auf dem Spielplatz. Nein, es gibt jetzt kein Eis. Nein, du kannst jetzt nicht fernsehen.


Meist sagt man den Satz mit einer gewissen Härte, manchmal auch mit Wut. Wut, weil vorher meist schon einiges in uns und um uns herum passiert ist und sich aufgestaut hat zu einem explosiven Cocktail.

Auch ich habe diesen Satz schon benutzt. Ich erinnere mich vage, ihn selbst als Kind gehört zu haben. Ich empfinde ihn als typischen „Eltern-Satz“. Höre ihn häufig im Kontext mit Kindern. Bei unerzogen-Eltern genau so wie in erziehenden Kreisen. (Spannend finde ich in dem Zusammenhang, wie unterschiedlich er von unterschiedlich begleiteten Kindern aufgenommen wird und welche Reaktion er bei den Kindern hervorruft! Doch das ist ein anderes Thema.) Der Satz ist einfach drin in meinem System und im System vieler Eltern. Er taucht bei mir immer dann auf, wenn ich angestrengt, übermüdet, gestresst, nicht ganz bei der Sache oder bei mir bin und dann so ganz und gar nicht lösungsorientiert reagieren kann. Ich gebe zu: Er „passiert“ mir nicht, sondern ich wende ihn an, wenn ich verzweifelt bin. Quasi als allerletzten Strohhalm, wenn mir gefühlt alles entgleist. Leider! Denn ich lehne ihn eigentlich, um im Einklang mit meinen Werten zu handeln, ab. Und das hat verschiedene Gründe:

Er drückt ein Machtgefälle aus, in dem ich mich nicht bewegen will. Ich möchte mich mit meinen Kindern auf Augenhöhe bewegen. Ich möchte in die Knie gehen, ihnen wirklich in die Augen schauen und hören, was sie bewegt. Ich möchte meine ohnehin vorhandene elterliche Macht nicht ausnutzen und meine Kinder dahingehend manipulieren, dass sie tun, was ich will, bloß weil ich Macht über sie habe.

Er macht meine Kinder mundtot - doch ich möchte sie lieber lebendig lassen! Mundtot. Das will ich nicht! Ich mag die Lebendigkeit meiner Kinder. Ich mag, wie sie die Welt sehen und möchte es ganz unbedingt hören, denn nur so kann ich sie wirklich kennenlernen.

Ich kann nicht erfahren, worum es meinen Kindern eigentlich geht.

Ich erfahre nicht, warum sie mit mir in’s Gespräch oder in die Diskussion kommen wollen. Und dann kann ich sie nicht sehen, kann ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht erkunden. Gleichzeitig kann ich mich nicht kennenlernen. Der Satz verhindert Wachstum. Ich möchte aber wachsen! Immer und immer wieder ein kleines Stückchen. Und ich glaube, dafür braucht es Reibung. Es braucht Konflikte. Denn so lernen wir uns gegenseitig und auch uns selbst kennen. Was beschäftigt meine Kinder, was ist ihnen wichtig? Warum kann ich gerade nicht mehr - bzw. was brauche ich? Ist es in diesem Moment realistisch und umsetzbar? Gibt es eine Alternative? Wie kann eine Lösung aussehen? Wenn ich mich auf die Diskussion einlassen kann, kann so viel entstehen: Nähe, Vertrautheit - Beziehung eben! Und oft - sogar sehr oft - verliert eine hitzige, laute, stressige Situation ihre Explosivität, wenn ich mich auf Augenhöhe begebe und ganz leise werde. Wenn ich zuhöre oder die richtigen Fragen stelle und (wirklich) an meinen Kindern und einer Lösung (keiner Beendigung des Konflikts) interessiert bin. Meine Kinder werden in diesen Momenten übrigens ganz groß…


Es geht eigentlich nur um mich - meine Kinder sind ok, so wie sie gerade sind.

Ich bin diejenige, die nicht klarkommt in diesem Moment - vielleicht ist mir alles zu viel: große Gefühle der Kinder, Lautstärke, meine eigenen Gefühlen wie Wut und Zorn, gespeist aus Überforderung, Müdigkeit, Erschöpfung. Harmonie, Ruhe, alle glücklich - das wär’s jetzt!

Ich möchte gut für mich sorgen und es auch meinen Kindern vorleben. Was zu nächst abstrakt klingt, empfinde ich mittlerweile als „das Ding“, als mein Rezept für mehr Frieden und Liebe im Umgang mit ihnen. Ich möchte mich um mich kümmern. Immer und immer wieder in mich gehen, nachfühlen, rein horchen ins System. Ich möchte mir wichtig sein. Ich möchte erforschen, was ich brauche, bevor ich explodiere oder solche Sätze sage. Ich möchte gut für mich sorgen, um klarzukommen mit völlig normalen, gesunden, aber auch anstrengenden Alltagssituationen. Es ist in meinen Augen der wichtigste Job, den wir als Eltern haben: wir müssen uns wichtig nehmen und uns zuallererst um uns selbst kümmern. Denn aus einem leeren Krug kann man nicht schöpfen! Wie im Flugzeug, wo wir im Notfall uns zuerst die Sauerstoffmaske aufsetzen, müssen wir auch im ganz normalen Alltagsleben dafür sorgen, dass es zuerst mal uns gut geht. Das kann für jeden individuell sein, betrifft aber in der Regel bei allen so scheinbar banale Dinge wie Schlaf, Bewegung, Essen und Trinken. Sei gut zu dir - du bist es wert!

Er verhindert, dass meine Kinder lernen, für sich einzustehen.

Sie lernen nicht, wie man mit Interessenkonflikten und Bedürfniskollision umgeht. Und die gibt es doch immer wieder im Leben! Wenn ich ihnen jetzt die Möglichkeit gebe, gehört zu werden, werden sie lernen, dass ihre Stimme zählt und sie werden sie in den richtigen Momenten einzusetzen wissen.

Er macht meine Kinder klein.

Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen entstehen auch dadurch, dass Kinder gehört und ernst genommen werden und sich behaupten dürfen. Sie werden stark und resilient. Dafür müssen sie ihre Stimme nutzen dürfen.


Der Satz ist also, wie viele andere Sätze, ein Satz mit vielen Facetten und einer enormen Wirkung. Wenn du hier auf meiner Seite bist und diesen Artikel liest, gehe ich davon aus, dass du andere, neue Wege gehen möchtest und lade dich ein, zu hinterfragen, wie du mit deinen Kinder sprichst und sprechen möchtest, wie du dir vielleicht auch wünschst, dass mit dir gesprochen wird. Was mir hier (und auch in anderem Kontext) sehr wichtig ist: ich möchte niemanden bewerten oder verurteilen, der diesen oder einen ähnlichen Satz benutzt hat oder benutzt. Das ist ohnehin etwas, das nicht meinem Wesen entspricht. Niemand sollte sich schämen oder schlecht fühlen. Ich möchte von mir erzählen und euch meine Gedanken mitteilen, denn das Reflektieren hat sich für mich als sehr nützlich auf meinem Weg erwiesen. Ich bin ganz sicher, dass du, solltest du den Satz (oder ähnliche Sätze) nutzen, obwohl du eigentlich nicht dahinter stehst, deine Gründe dafür hast. Die können sein, dass es eben in manchen Momenten einfach nicht anders geht. Dass da eben keine Ruhe in deinem System ist und du es aus den verschiedensten Gründen nicht hingekriegt hast, gut für dich zu sorgen und dich aufzutanken. All das ist legitim! Du musst kein Übermensch sein, der immer alles hinkriegt. Außerdem bin ich ganz sicher, dass Kinder auch aushalten können, wenn sie solche Sätze hören und an vielen anderen Stellen bedingungslos geliebt, gehört und ernst genommen werden. Du darfst also einfach mal in Frage stellen. Du darfst neue Wege gehen. Es gibt nicht nur schwarz und weiß und ebenso gibt es nicht richtig und falsch! Es gibt viele Schattierungen dazwischen. Und dazu gehört, dass ich sicher bin, dass du spürst, was du für deine Kinder willst und was nicht und dass dein Herz der Kompass sein kann.

Hier noch einmal eine kurze Zusammenfassung, ein paar Ideen und hilfreiche Worte auf dem Weg zu einer fruchtbaren Diskussion mit eurem Kind:

Sorge gut für dich. Du bist es wert!

Nimm dein Kind ernst - es wird es dir danken.

Meistens entspannt sich die Situation, wenn du leise wirst und bei dir bist und dich dann deinem Kind zuwendest. Du darfst das alles schwer finden, du darfst wütend sein, du darfst es anstrengend finden. Und dann darfst du zuhören. Oder auch mal so tun, als ob!

Du musst dich nicht auf alles einlassen, alles gut finden oder alles erlauben, was dein Kind möchte oder in eine „laissez-faire“-Mentalität verfallen. Du darfst zuhören und trotzdem (liebevoll) Nein sagen.

Es ist ok, wenn du nicht diskutieren möchtest oder kannst (Zeitdruck etc.). Wenn es einfach nicht geht und du wirklich und absolut nicht kannst oder magst, dann ist das so. Ein Nein zu deinem Kind ist ein Ja zu dir. Genau wie ein Nein deines Kindes ein Ja zu sich selbst ist! Alternativ kannst du zum Beispiel sagen: Ich möchte gerade nicht weiter darüber reden. Lass uns zu Hause darüber sprechen.

Ich möchte gerne wissen, worum es dir geht, doch im Moment kann ich das nicht. Erzähl es mir später!

Ich sehe und ich höre dich und gleichzeitig kann ich gerade nicht mehr darüber sprechen.

Du bist mir wichtig - doch gerade geht es leider nicht anders.

Einladungen zu einer „Diskussion“, einem Gespräch, können beispielsweise sein:


Du siehst das scheinbar anders als ich. Wie ist es für dich, magst du es mir erzählen?

Ich sehe, dass dir das sehr wichtig ist. Erzählst du mir mehr darüber?

Ich sehe, du bist frustriert/sauer/traurig über meine Entscheidung. Magst du mit mir darüber reden?

Du willst noch rutschen, ich möchte nach Hause. Hast du eine Idee, was wir tun können?


Selbstverständlich hängt es immer auch vom Alter und Charakter, allgemein von der Individualität deines Kindes ab, wie du mit ihm sprechen kannst. Trotzdem glaube ich, dass schon Kleinkinder ungemein davon profitieren, wenn wir uns ihnen zuwenden und zuhören und ihnen Worte für das geben, was sie bewegt. Außerdem lernen sie einen wertschätzenden Umgang miteinander, lernen Formulierungen und Worte, die ihnen im Leben hilfreich sein können. Ich möchte dich ermutigen, mit Kindern in’s Gespräch zu kommen. Es lohnt sich!!!



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