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Cracker im Bad

Über Verantwortung, Bewertung und Wertschätzung.

Gestern wurde es mir wieder einmal schlagartig und schmerzhaft bewusst: In uns Eltern steckt eine große Macht - die Macht, unseren Kindern ein Bild von sich und damit ein Bild von ihrem Wert als Menschen mitzugeben. Wie wir unsere Kinder sehen, wie wir sie und ihr Verhalten be-WERT-en und wie sehr wir ihren Wert und den Wert ihres Verhaltens (Verhalten hat immer einen Sinn!) erkennen und schätzen, prägt ihr Selbstbild, prägt letztendlich ihr ganzes Leben. Die Worte und der Tonfall, die wir an sie richten, werden zur inneren Stimme unserer Kinder.

Gleichzeitig wurde mir wieder einmal die Macht bewusst, die wir über uns haben. Wir tragen Verantwortung für uns - in jedem Moment und mit allem, was da kommt und wir tragen Verantwortung für die Stimmung, die innerhalb der Familie herrscht.


Warum schlagartig? Weil ich so drin war im alltäglichen Trubel-Stress-Chaos-Modus. Es musste einfach irgendwie voran gehen, es war Bettzeit, ich gestresst und müde vom Tag. Es sollte jetzt einfach klappen, verdammtnochmal.


Warum schmerzhaft? Weil mein Blick, weil meine Worte in diesem Moment nicht wertschätzend, freundlich, geduldig waren. Mein Blick war missbilligend, mein Ton genervt. Puh!


Dabei war die Situation nicht schlimm. Mein Kind war frisch geduscht und umgezogen, es fehlte nur noch das Zähneputzen. Doch mein Kind hatte andere Pläne - hatte sich ein paar Cracker mit ins Bad genommen - die waren doch sooo lecker und der Bauch noch ein bisschen hungrig. 29 Stück sollten es sein! Und obwohl ich dazu Ja gesagt hatte, weil ich mein Kind ja nicht hungrig ins Bett bringen möchte und seine Eigenständigkeit respektieren will, war ich wohl doch nicht ganz bei Zustimmung, sondern fand es eigentlich, tief in meinem Inneren, blöd. Ich wollte keine Krümel im Bad, wollte dass es vorangeht und überhaupt (Vorsicht Sarkasmus) - was ist das schon wieder für ein Hippie-Kram - abends Cracker im Bad essen! Weil ich das aber übergangen hatte und zusätzlich müde, ausgelaugt und gestresst war, veränderte sich nun der Blick auf mein Kind. Ich machte es für meine Laune verantwortlich (weil du Cracker isst, bin ich genervt), ich wollte alles anders haben (boah, kann das nicht mal alles schneller und einfacher sein), ich musste dieses Verhalten dringend negativ bewerten (kann ja wohl nicht angehen - abends noch Cracker im Bad essen) und mein Kind dadurch erziehen (sonst macht die das ja immer). Ich möchte das genauer betrachten:


1) Ist mein Kind für meine Laune verantwortlich? Eindeutig Nein! Ich bin diejenige, die für Launen, Bedürfnisse und Gefühle zu 100 % selbst verantwortlich ist. Ich muss für mich sorgen, damit ich ausgeruht, entspannt und gestärkt bin. Damit ich aushalten kann, dass es läuft, wie es läuft. Ich darf mir Pausen einräumen, es leicht nehmen, es mir leicht machen und tausend andere Strategien entwickeln, um am Ende des Tages nicht nur noch genervt und gestresst zu sein. Wenn ich gut für mich sorge ist es in der Regel auch möglich, meine Gefühle (Stress, Unruhe, Wut) anzunehmen, auszuhalten und nicht überzubewerten und sogar meine Laune selbst zu wählen. Mein Kind macht mir keine Gefühle - meine Gedanken, Bewertungen, meine eigene innere Stimme und meine körperliche Verfassung lassen Gefühle entstehen. Wenn ich bspw. gestresst bin, kann ich da hinschauen. Woher kommt der Stress? Muss der Stress sein oder entspringt er unrealistischen Erwartungen an mein Kind - und an mich? Wenn ich das durchschaue und von der körperlichen Stressreaktion weg und hin zu meinem Bedürfnis (z. B. nach Ruhe) komme, dann kann sich viel ändern. Allein das Erkennen des Bedürfnisses hilft mir oft schon sehr: Ich brauche Ruhe! Aha! Wie kann ich mir das erfüllen? Geht das gerade? Wenn es auch mal nicht möglich ist, kann ich immer noch bedauern, dass es gerade nicht so leicht ist und dann weitermachen. Ich habe es in der Hand! Meinem Kind diese Verantwortung für mich, meine Laune, meine Gefühle und Bedürfnisse aufzubürden wäre hingegen viel zu viel.

2) Ich wollte alles anders haben. Ich war also nicht achtsam im Moment! Meine Gedanken rasten, mein Puls raste auch. Obwohl ich es gar nicht richtig fassen konnte, hatte der Teil meines Gehirns, der sehr alt ist und nicht rational entscheiden kann, die Kontrolle übernommen. Ich malte mir Bilder aus von einer Zukunft, in der mein Kind Cracker-essend und Zähneputzen-verweigernd rebellierend durch die Wohnung rannte, ich niemals mein Bedürfnis nach Ruhe oder Leichtigkeit erfüllen konnte und ich sowieso versagt hatte als Mama. Ich wollte am liebsten abhauen. Uff!! Was für ein Quatsch. Wenn ich hingegen achtsam im Moment gewesen wäre, hätte ich bemerken können, wie ich mich fühle (gestresst) und was ich wahrnehme (Augen, Ohren, Nase), was ich brauche (Ruhe und freundliche Gedanken) und dass es eigentlich überhaupt nicht schlimm ist, was da gerade stattfindet.


3) Ich musste dieses Verhalten dringend negativ bewerten. Denn wenn ich mein Kind jetzt liebevoll anschauen würde, wo kämen wir dann hin!?! Aha - ich musste also erziehen. So wurden wir schließlich auch erzogen - Missbilligung bei “falschem” Verhalten. Das war also etwas relativ Altes, das ich gar nicht bewusst einsetzte, sondern das unbewusst mein Verhalten bestimmte. Die Botschaft, die ich sendete, war damit übrigens auch verwirrend für mein Kind - schließlich hatte ich doch Ja zu dem Snack gesagt.


Doch in dem Moment passierte glücklicherweise etwas mit mir!

Ich schaute tief in die Augen meines Kindes.

Ich erkannte, dass mein Kind gerade in ein ärgerliches, missbilligendes Gesicht sah - und erschrak darüber. Ich setzte mich zurück und änderte meinen inneren Blick, meine Bewertung…


Ich erkannte die Schönheit, die in dem Moment lag.

Ich sah die Autonomie, die mein Kind feierte, indem es sich seinen Wunsch und sein Bedürfnis erfüllte.

Ich sah die Unschuld im Blick meines Kindes - das doch nie und nimmer Cracker mit ins Bad nahm, um mich zu ärgern.

Und dann veränderte sich mein Blick, meine Mimik, meine Körperhaltung!


Ich atmete durch. Ich fing sogar an, den Moment zu genießen. Ich ließ einfach zu, was war. Ich wollte nicht mehr ändern. Und das Wichtigste: ich bewertete mein Kind nicht mehr negativ! Ich wurde mir des Werts meine Kindes bewusst und der Macht, die ich über mein Kind - und seine Zukunft - habe. Ich schaute es aus freundlichen Augen an, mit Wärme und Liebe im Blick. Denn das ist es, was ich spüre, wenn ich weg von der Bewertung gehe. Ich liebe mein Kind, ich liebe seine Art, für sich zu sorgen, ich liebe es, dass es mir hin und wieder ein Nein! entgegen schleudert, weil es auf sich hört und nicht auf mich (auch wenn mich das trotzdem manchmal wahnsinnig macht). Der Blick auf mein Kind ist damit also nicht nur für mich entscheidend, weil er mich in Stress und Ärger versetzen kann, er ist sogar noch wichtiger für mein Kind. Ich möchte, dass es sich bedingungslos geliebt, angenommen und sicher fühlen kann. Ich möchte, dass es gesund aufwächst und als Erwachsener eine freundliche, wertschätzende innere Stimme hat, die ihm Mut macht und die geduldig und freundlich mit ihm ist. Ich möchte, dass mein Kind glücklich ist - jetzt und in Zukunft. Das Wunderbare ist: Wir haben es in der Hand! Wir können lernen, gut für uns zu sorgen, uns selbst freundlich und liebevoll zu betrachten, unsere innere Stimme zu trainieren und Glaubenssätze und Gedanken zu hinterfragen. Und dann ist es möglich, uns unseren Kindern freundlich, geduldig, wertschätzend und voller Liebe zuzuwenden. Dann kann Liebe fließen und mein Kind sich wert-voll fühlen. Was für ein Geschenk! Wenn dein Kind also das nächste Mal eine Entscheidung für sich trifft, die dir vielleicht nicht ganz passt, nimm es nicht persönlich und bleib entspannt. Versuche, den Wert deines Kindes, den Wert seiner Entscheidung und seines Verhaltens zu sehen und bewerte nicht über. Kannst du die Schönheit sehen, kannst du dein Kind und sein Verhalten wertschätzen? Dann lehn dich zurück, lass es passieren und staune darüber, wie sich alles entspannt, wenn du deinen Blick, deine Bewertung veränderst. Es zahlt sich aus. ❤️

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